Freitag 21. Apr. – Zustieg zur Essener-Rostocker-Hütte, 6,5 km & 840 Hm
Matsch. Viel Matsch. Der Start zu unserem Skihochtourenwochenende an der Essener-Rostocker-Hütte steht ganz im Zeichen der restlichen Wintersaison 22/23. Es hat einfach zu wenig Schnee. Zumindest hier unten im Tal – am oberen Ende des Berges soll nämlich die letzten Tage doch noch so einiges runtergekommen sein, gerade so, als ob der Winter seinen Einsatz verschlafen hat, und jetzt viel zu motiviert & viel zu spät auf die Bühne braust. So einen Auftritt wollen wir natürlich nicht verpassen, also schultern Raoul, Werner & ich unsere Ski & Splitboard, Seil und anderes schweres Gerät und machen uns von Ströden aus in die bereits grün-braune Bergwelt auf, um nach anderthalb Stunden feucht-fröhlicher Wanderung endlich so viel Schnee unter den Füßen zu haben, dass wir einen Teil des schweren Gepäcks vom Rucksack an die Schuhe schnallen können.
Mit den letzten Metern zur Hütte zieht sich der Wolkenvorhang immer weiter auf und gibt den Blick frei auf unsere Bühne der nächsten beiden Tage, und eines muss man sagen: auch wenn der Winter die letzten Jahre an Bühnenpräsenz eingebüßt hat, den Auftritt selbst, den kann er immer noch.
Der über die Woche gefallene halbe Meter Neuschnee lacht uns aus völlig unverspurten Hängen an, dem miesen Wetter bis zu unserem Eintreffen sei Dank, und wir verbringen den restlichen Tag & Abend damit, die Pläne für den darauffolgenden Tag zu schmieden. Das ursprünglich anvisierte Ziel Dreiherrnspitze verwerfen wir – zum einen wegen dem potentiell recht lawinengefährdeten Schlusshang, zum anderen aber auch, weil wir uns recht sicher sind, dass das Spuren von 1500 Hm in knietiefem Schnee vielleicht eine etwas zu ambitionierte Aufgabe für den nächsten Tag ist. Letztendlich fällt die Wahl auf den Großen Geiger, und schon bald darauf zwingt uns die Hüttenruhe das Ende des Tages auf – nicht ohne uns vorher noch den „Venediger-Siggi“ mitsamt seiner bunten Tourengruppe an den Tisch zu setzen…manch einer kennt ihn vielleicht aus einer ServusTV-Bergwelten-Folge.
Samstag 22.April – Großer Geiger (3.360m), 12,4 km, 1.155 Hm
Frühmorgens gegen 7 Uhr starten wir mit vorerst zwei, drei anderen Seilschaften bei strahlend blauem Himmel in der einzigen Spur des gestrigen Tages in Richtung Maurertörl, wohl wissend, dass wir dieser nicht allzu lange werden folgen können. Je näher wir der 2.800-Meter-Marke kommen, bei der es für uns „abbiegen“ heißt, desto offensichtlicher werden von allen vorderen Gruppen taktische Jacken- und Trinkpausen eingerichtet. Niemand möchte spuren.
Bereitwillig nehmen wir den offensichtlichen Spur-Bildungsauftrag an und leisten alle drei einen hochpulsigen Beitrag für die lokale Skitourengemeinde, die mittlerweile vermehrt in der Ferne hinter uns auftaucht. Der DAV Markt Schwaben hat übrigens auch geholfen – im Gegensatz zum Venediger-Siggi, der den Start seiner Gruppe nach Sichtung des noch nicht gespurten Aufstiegs „aus unbekannten Gründen“ um 30 Minuten nach hinten verlegte. 😉
Am finalen Gipfelaufbau entscheiden wir uns gegen den Aufstieg entlang des Sommerwegs und für den Versuch, den Gipfel über die steile Süd-West-Flanke per Ski zu erreichen. Das stellt sich zwar schnell als überaus überambitioniert heraus, allerdings hätten wir ohne diesen Versuch jetzt keine tollen Fotos von uns, wie wir ebenjene Flanke diretissima hinaufpickeln. Oben dann noch ein paar Meter am unschwierigen, aber teilweise stark überwächteten Südgrat Richtung Gipfel, und schon stehen wir inmitten der Venedigergruppe bei bester Aussicht. Direkt im Osten der Großvenediger aus ungewohnter Perspektive, im Westen Reihen sich Simonyspitzen, Umbalköpfl und Dreiherrnspitze aneinander. Und im Süden: feinster Pulver.
Wir verbringen nicht verschwenderisch viel Zeit am Gipfel, den wir uns mittlerweile mit einigen Nachgekommenen teilen, und möchten stattdessen den verdienten Lohn unserer Arbeit in den noch kaum verspurten Schnee fräsen. Wir gehören zu den wenigen, die die Ski mit auf den Gipfel genommen haben, und genießen die neidischen Blicke, als wir uns den gerade auffirnenden, bis zu 40° steilen Gipfelhang hinabstürzen. Das Steilstück überwunden warten noch etwa 700 Hm perfekt geneigte Tourenhänge, und unser Grinsen wird mit jedem verlorenen Höhenmeter größer, bevor die Abfahrt langsam abflacht, wir entspannt über die Aufstiegsspur zur Hütte zurückgleiten und den Nachmittag auf der Terrasse damit verbringen, den Kampf gegen Sonne, Kuchen und Radler nicht zu verlieren. Alles in allem der mit Abstand beste Tag meines Tourenwinters, und auch der vieler andere Hüttengäste.
Sonntag 23.April – Östliche Simonyspitze (3.448m), 11 km, 1.260 Hm
Der von der Hüttenterrasse gut einsehbare Aufstieg zur Östlichen Simonyspitze inkl. recht akkurat angelegter Aufstiegspur und nur einer Hand voll Abfahrtslinien hatte sich am gestrigen Tag schon erfolgreich als Sonntagsziel beworben, und so brechen wir auch an diesem Tag früh bei anfangs noch gutem Wetter auf, am Simonysee vorbei und hinein in die aufkommenden Wolken, die schon bald die mächtigen Serracs des Simonykees weit weit über uns verschlucken.
Mit jedem Meter wird die Sicht spannender, und wir sind sehr froh um die Aufstiegsspur, die uns zuverlässig durch den Nebel leitet. Diese, anfangs doch recht entspannt angelegt, zieht sich nun immer steiler den Berg hinauf, als ob den gestrigen Entdeckern unterwegs die Geduld ausgegangen wäre, und so gelangen wir bald an die Schlüsselstelle der Tour, eine recht große Querspalte auf ca. 3.200 m Höhe. Diese ist trotz des schneearmen Winters recht ordentlich eingeschneit, wir (= ich) sind trotzdem froh, die zwei Skilängen schnell und ohne Zwischenfall überwunden zu haben. Es klang irgendwie doch etwas hohl.
Etwa 200 Hm später, die Sicht hat sich mittlerweile irgendwo zwischen „ungünstig“ und „Vollkatastrophe“ eingependelt, kündigen Stimmen im Nebel an, dass wir uns langsam in Gipfelnähe befinden. Selbige kommen uns wenig später entgegen und geben eine kleine Vorschau auf die bevorstehenden Abfahrtsverhältnisse, und nach kurzem Gang auf dem flachen Gratrücken entscheiden wir uns mangels Sicht und Gipfelkreuz dafür, dass wir „hier und jetzt“ am Gipfel stehen, was im Nachhinein auch in etwa gepasst haben dürfte.
Mangels Schönwetterfenster orientiert sich unsere Gipfelrast in der Länge eher an der üblichen Verweilsdauer bei Skibergsteiger-Rennen, die anschließende Abfahrt fordert aufgrund der Sichtverhältnisse & einem dicken Harschdeckel definitiv einiges an Konzentration. Wir begegnen in der Abfahrt noch einer großen italienischen Ausbildungstruppe mit großen italienisch Anseilschlaufen und freuen uns richtiggehend, als wir auf etwa 2.900 m pünktlich für den letzten langen Abfahrtshang aus den Wolken stoßen und die Schneedecke sofort von Harschdeckel auf die Konsistenz „Kartoffelbrei“ wechselt. Meine beiden skifahrenden Begleiter begegnen dem mit Kraft, Eleganz & ohne Kreuzbandriss, während ich mal wieder dankbar bin, ein mit ordentlich Auftrieb versorgter Snowboarder zu sein und lange Kurven über dem Simonysee in den Schnee male.
Zurück auf der Essener-Rostocker-Hütte erlauben wir uns noch eine Zwischenstärkung, tauschen uns mit der uns am Gipfel entgegengekommenen Gruppe junger Tiroler über das Wochenende aus, und machen uns bei mittlerweile strahlendem Sonnenschein widerwillig auf Richtung Tal (Ja, wir sind zu früh abgefahren).
Schon bald werden wir von eben jener Tiroler Bande eingeholt, deren erklärtes Ziel es anscheinend ist zu erfahren, wie weit man auch ohne Schnee mit Skiern ins Tal abfahren kann. Zumindest verschwinden sie lachend und schreiend im grün-weißen Wald, während wir schon längst auf die Sportart „Wandern“ gewechselt haben. Der weitere Abstieg ist im oberen Teil noch wie erwartet feucht-matschig, bessert sich jedoch zunehmend und spuckt uns nach etwas über einer Stunde Gehzeit wieder am Parkplatz Ströden aus.
Letztendlich ein versöhnlicher Ausklang des Tourenwinters 22/23, dieses allerletzte Wochenende … jetzt, wo oben endlich mal ordentlich Schnee liegt. Hmm. Wie heißt eigentlich der schöne Berg gegenüber? Und wie wird eigentlich das Wetter nächstes Wochenende?
Es soll ja Dienstag nochmal schneien.
Und a bisserl was geht immer.