Als wir starteten löste im Norden ein Tief das nächste ab, das Wetter auf der Südseite der Alpen versprach Besseres. Es sind nur 380 km von München bis hinauf ins Val Campelle, einem Seitental des Valsugana im Trentino. Wir sind zu viert: Gertraud, Franz, Peter und Johanna.
Die Corona-Situation hatte sich gebessert und so konnten wir die Tour relativ kurzfristig ins Programm nehmen. Die Einsamkeit dieses Gebietes und die Wandertage während der Woche beruhigten uns zusätzlich.
Während des Aufstiegs zur ersten Hütte, dem Rifugio Caldenave, kamen uns am Sonntagnachmittag einige Wanderer entgegen, die sich wegen des drohenden Regens alle sehr beeilten ins Tal zu kommen. So waren wir auf der kleinen Hütte mit einem weiteren Paar die einzigen Gäste. Der junge, aber erfahrene Hüttenwirt hatte im Winter seine eigene Hütte an der Marmolata durch eine Lawine verloren und war in dieser, der Gemeinde gehörenden Hütte, sehr um uns bemüht. Unser Zimmer war groß, alle Essenswünsche hervorragend erfüllt.
Am nächsten Tag drehten wir eine Runde über der Hütte, den Giro dei laghi.
Hier befanden wir uns auf der italienischen Seite der Frontlinie im1.Weltkrieg, die damals gebauten Wege sind noch gut zu sehen und zu begehen. Das „Gipfelkreuz“ der Cima Caldenave (2 442 m) besteht aus einem gewundenen Stacheldraht. Die Sicht nach allen Richtungen war großartig: in der Ferne Brenta, Adamello, Presanella und Ortler Gruppe, nahe die südlichen Fleimstaler Berge mit der Cima d’Asta. Auf schmalem Steig ging es weiter, vorbei am Lago Grande zur Forcella Quarazza, steil und ausgesetzt zur Forcella Segura, dann wieder hinunter zur Forcella Orsera und durch Schneefelder ins Val Orsera zur Caldenave Hütte.
Am nächsten Tag führte der Weg über die Laghi d’inferno auf die Forcella Buse Todesche. Hier waren richtige Straßen für den
Materialtransport gebaut worden, was durch den leicht in Quadern zu spaltendem Porphyr erleichtert wurde. Weiter auf dem Höhenweg, immer auf ca. 2 300 m, änderte sich das Gestein: hier ist es Granit. Die Cima d’Asta mit dem Rifugio Brentari schien in weiter Ferne und der Weg zog sich in leichtem auf und ab stundenlang bis zur Forcella Magna. Ab da dann auf einem sehr schmalen Steig durch einzigartige Blumenwiesen hinunter ins Tal. Obwohl wir schon müde waren, weckte der Aufstieg über die Granitplatten (Laste) nochmal unsere Energie. Neben dem Wasserfall im Granitgestein nutzen wir die Reibung des Gesteins unter den Schuhen und gelangten abwechslungsreich zum Rifugio Ottone Brentari alla Cima d’Asta., einer SAT-Hütte. Sie wurde vor einigen Jahren totalrenoviert und bietet neben netten Zimmern und großem Aufenthaltsraum draußen vor der Hütte Kunstinstallationen und im Sommer regelmäßige Kultur-Events. Der große See neben der Hütte war noch von Eis bedeckt, so konnten sich die steilen Granitwände nicht im See spiegeln. Unsere geplante Runde um den Gipfel auf der Nordseite konnte wegen des vielen Schnees nicht gemacht werden. Der Aufstieg zum Gipfel der Cima d’Asta, 2 850 m, war teils über Schneefelder jedoch möglich. Sie ist der höchste Berg der Fleimstaler Alpen und bietet eine große Rundumsicht.
Am Nachmittag testeten wir nochmal die Reibung auf den Granitplatten auf dem Weg zur Forcella del Passetto. Hier gibt es nur Steine, keine Tiere, keine Menschen.
Auch auf der Hütte waren kaum Wanderer, für Kletterer war es noch zu kalt. Die Trentiner kommen meist am Wochenende.
Mit dem Granitweg über den Passo Socede stiegen wir am nächsten Tag zur Forcella Magna ab. In leichtem Auf und Ab folgten wir alten Kriegsstraßen bis zur Cima Socede, einem im 1. Weltkrieg hart umkämpften Hügel. Hier wurden alte Lauf- und Schützengräben, sowie Bauten und Unterstände wiederhergestellt. Man kann sich so vorstellen unter welchen Bedingungen hier vor 100 Jahren Krieg geführt wurde. Österreicher und Italiener waren oft nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Wir waren gerade in einer ausgebauten Baracke, als ein kräftiger Regenschauer niederging und eine halbe Stunde später schien die Sonne wieder vom blauen Himmel.
Nach einer Stunde erreichten wir die Malga Conseria, sie wurde vor kurzem zu einer kleinen Unterkunft ausgebaut und wird von einer rührigen netten Wirtin geführt, die hervorragend kocht. Auch hier waren wir die einzigen Gäste, obwohl die Hütte an den Wochenenden im Hochsommer meist ausgebucht ist. Kein Wunder bei der Küche!
Der südliche Teil der Fleimstaler Alpen, zu denen die Cima d’Asta-Gruppe gehört, ist bei uns noch wenig bekannt. Diese Berge bieten eine Vielfalt von seltenen Blumen, kleine und große Seen, steile Granitwände für Kletterer. Sie erinnern auch ständig an einen unmenschlichen Krieg, der nach hundert Jahren hier noch präsent ist. ▲jvu